Strenge Präzision, abstrakte Phantastik: Einige vorläufige Bemerkungen zu den Arbeiten von Chikako Kato
Wer einmal eine kleine Gruppe von Arbeiten Chikako Katos für nicht mehr als zwanzig oder dreißig Minuten intensiver Betrachtung unterzogen hat, dem wird es wenig Mühe bereiten, die Bilder der in Japan aufgewachsenen, heute in Deutschland wie zeitweise auch in Japan arbeitenden Malerin selbst in einer großen Gruppenausstellung spontan als ihre Kompositionen zu identifizieren. Katos gemalte Phantasien besitzen also einen hohen ‚Wiedererkennungswert‘. Er rührt wohl daher, daß sich zunächst eine strenge Beschränkung bei den zum Einsatz gelangenden künstlerischen Mitteln beobachten läßt, sodann aber die klare Formulierung eines persönlichen Stils, einer individuellen Bildsprache. Innerhalb dieser für die Bildform bewußt und konzentriert gesetzten Grenzen stößt man freilich auf eine überbordende Phantasie in der Entwicklung motivischer und koloristischer Konstellationen wie auch auf klar unterscheidbare Werkkomplexe. Diese ließen sich als aufeinander folgende Phasen einer kontinuierlichen ‚Stilentwicklung‘ verstehen. Oder sie wären, wohl angemessener und zeitgemäßer, als das Ergebnis unterschiedlicher Versuchsanordnungen bei der Evokation einer abstrakt-‐phantastischen, nur der Kunstbetrachtung zugänglichen Gegen-‐ oder Nebenwelt zu bezeichnen.
In Katos malerischem Oeuvre des zurückliegenden Jahrzehnts dominieren kleinere und kleinste Formate von meist quadratischem, die Bildfläche zentrierendem Zuschnitt. Sie zwingen zu nahsichtigem Schauen, zu einer auch physisch engen, ja intimen Zwiesprache zwischen Bild und Blick. In das Staunen über die maltechnische Präzision, mit der Kato ihre filigranen Muster aufgetragen hat, mischt sich dabei sofort die letztlich unauflösbare Rätselfrage, um was es sich da wohl handele, was genau denn mit solcher Genauigkeit gezeigt werde. Erst mit der jüngsten Werkgruppe hinzugekommen sind zu den quadratischen Bildformaten auch extrem langgestreckte, friesartige Kompositionen, mit denen sich die Malerin die Möglichkeiten der rhythmischen Reihung wie der Überschneidung der buntfarbig aufgetragenen, in sich häufig symmetrisch gebildeten Motive und den Wechsel von Flächenfüllung und gedehnten ‚Leerstellen‘ erschloß.
Neben dem Zuschnitt und den mehrheitlich geringen Abmessungen des Formats (insbesondere bei der Höhenerstreckung der Malfläche) zählt zu den formbestimmenden, durchgängig von der Künstlerin eingesetzten Gestaltungsmitteln die reliefartige Zweipoligkeit von abstrakten, konturierten oder aus knappen Linienzügen gebildeten ‚Figuren‘ und dem sich gleichförmig ausbreitenden Grund. Letzterer trat noch vor wenigen Jahren meist in eigenwillig gebrochenen Pastelltönen oder gelegentlich in intensiver Primärfarbigkeit auf. Er neigte sich dann aber zusehends Grauwerten und (verstärkt noch seit der japanischen Erdbebentragödie) dem Schwarzen zu, das als Dunkelgrund die Mehrzahl der jüngeren Arbeiten bestimmt oder doch den buntfarbig hinterlegten Flächen von kompositorischen Gegenstücken antwortet. Da Kato auf jegliche lineare Hinweise als Beschreibung räumlicher Konstellationen zwischen den Bilddingen verzichtet, ergibt sich alle ‚Raumillusion‘ ausschließlich aus der koloristischen Spannung zwischen abstrakter Figur und eben diesem Farbfond, vor oder auch in dem die bizarren ‚Bildfiguren‘ ihren seltsamen Tanz vollführen. Ihre Anschaulichkeit bezieht diese Bipolarität aus Kontrast und Koexistenz von zweierlei Malweisen. Für die farbige Grundierung wählt Kato einen ebenmäßigen, sich jeglicher Spur einer persönlichen ‚Pinselschrift‘ enthaltenden, vielleicht an die niederländische Feinmalerei des 17. Jahrhunderts oder ʹ besser doch ʹ an traditionelle japanische Lackarbeiten erinnernden, in mehreren Schichten aufgetragenen und angeschliffenen, im Endzustand meist kreidig matt, aber makellos geschlossenen Farbauftrag. Die buntfarbigen Phantasiegeschöpfe hingegen, die vor dieser Kulisse agieren, oder die
Farberscheinungen, welche als schwebende Akkumulationen kleiner und winziger, in ihrer konkreten Ausdehnung dabei subtil abgestufter Tupfer zusammengefügt werden und scheinbar aus dem Dunkel des Bildgrunds ins Licht treten, sie setzt die Malerin in traumhafter Sicherheit für das rechte Maß, für den rechten Ort mit einem äußerst feinen Haarpinsel auf den Farbfond auf. Die handwerkliche Ausführung, aber auch die ‚geheime Geometrie‘ in der ornamentartigen Anordnung der großen und kleinen farbigen Bildelemente, deren Grundgestalt sich häufig vielfach wiederholt, verweist einerseits auf Ordnungsprozesse in der bildäußeren Natur, läßt sich andererseits auch als Metapher und Beschreibung sozialer Prozesse deuten. Zugleich belegt sie die strenge, meditativ-‐konzentrierte Disziplin der kompositorischen Entscheidungen wie der Pinselarbeit Katos.
Auch mit den häufig monochrom in einer leicht gebrochenen Primärfarbe auf Dunkelgründe aufgetragenen Phantasiegestirnen erschafft sich Kato motivisch eine Zwischenzone, die hier an das mikroskopische Sehen kleinster Strukturen, dort wiederum an Erfahrungen des teleskopischen Suchens am Rande der sichtbaren Welt denken läßt. Die Malerin konstruiert als ihr Sujet somit zwischen mikro-‐ und makrokosmischen Assoziationen eine eigene und eigenartige Mitte, eine fremde und befremdliche Welt, deren Konglomerate von oft hundertfach reduplizierten Grundelementen biologisch-‐molekulare, astronomische wie auch sozial-‐schwarmartige Anziehungs-‐ und Abstoßungsprozesse, von stetem Werden und Vergehen zu kartieren scheinen.
Chikako Katos Bilder und Bildfolgen konfrontieren das Publikum
- mit einem der nahsichtigen Miniatur sich annähernden oder aber zum extrem gestreckten, das Abschreiten einfordernden Format,
- mit der virtuosen Zartheit der in Arbeiten der beiden zurückliegenden Jahre oft kleinteilig getupften, meist aber winzigen und im Rapport der ‚elementaren Teilchen‘ zum Ornamentalen neigenden, buntfarbig-‐linearen Motive
- mit der Verrätselung der Raumbeziehungen wie des jeweils zu denkenden Maßstabs der abstrakten Bildfiguren
- mit der Frage nach der metaphorischen Bedeutung von deren Ballung oder Auseinanderstreben als einer künstlerischen Beschreibung und Analyse von Naturvorgängen wie von gesellschaftlichen Organisationsprozessen
- mit der Bejahung eines auf Spannung, aber auch auf den ’schönen Zusammenklang‘ der Bildfarben zielenden Kolorits
- mit dem Eindruck des ruhig in verströmender Zeit Schwebenden.
Alles dies‘ sind Eigenarten der Malerei Katos, die sich nicht leicht mit jenen Vorerwartungen versöhnen lassen, welche mit der meist im musealen Historienformat auftretenden, kritisch-‐ engagiert deklamierenden und transmedial-‐installativen Westkunst der Gegenwart verbunden sind. Derlei Enttäuschung mag man der Malerin vorhalten ʹ oder sie, wie hier vorgeschlagen, als ein großes Sehvergnügen, als die visuelle Glaubhaftmachung einer anderen, phantastischen Welt willkommen heißen, die so sein könnte und die in Katos Bildern auch wahrhaftig so ist.
D.W. Dörrbecker, Januar 2014